NeuĂŸ-Grevenbroicher Lokal-Zeitung, 22. Mai 1982:

Damals in einem Boot

Jäger und Gejagte

Vor vierzig Jahren lauerten sie eingepfercht in einer Stahlröhre … zig Meter unter dem Meeresspiegel, waren Jäger und Gejagte. Heute treffen sie sich regelmĂ¤ĂŸig zu einem gemĂĽtlichen Plausch und reden ĂĽber Vergangenheit und Zukunft: die Besatzung eines U-Boots, das im Zweiten Weltkrieg mehrmals auf Feindfahrt ging, aber schon im Herbst 1939 dem Druck englischer Wasserbomben nachgeben musste. In diesen Tagen finden sich 16 Mitglieder der ehemaligen Besatzung von U 35 in Neuss ein, um sich wieder einmal im Wohnort einer der alten Seebären begrĂĽĂŸen zu können. Der hier ansässige Erich May, frĂĽher Funker auf Schiffen ĂĽber und unter Wasser, trommelte vom Kommandanten bis zum schlichten Seemann viele zusammen, mit denen er monatelang im Bauch von U 35 zwischen Sprengstoff und Trockenkartoffeln lebte.

Doch nicht nur aus ganz Deutschland sind die Veteranen angereist, sondern auch aus Ăœbersee. Nachdem die Besatzung von Engländern gefangengenommen worden war, kam sie in kanadische Lager. Während dieser Zeit lernten einige der Soldaten das Land so sehr schätzen, dass sie später von Deutschland dorthin auswanderten.

Diese Männer können viel erzählen, spannende, doch oft auch erschreckende Geschichten aus einer unheilvollen Zeit. Mehr als ein Jahrzehnt haben sie für den Krieg opfern müssen, allein sieben Jahre verbrachte die Besatzung von U35 in Kanada. Im Nachhinein betrachtet, war der frühe Verlust dieses Bootes jedoch für sie alles andere als ein Unglück, denn im Laufe des Krieges wurden auch die Auseinandersetzungen zu Wasser Immer härter. U 35 rettete die Besatzungen der versenkten Schiffe oder verzichtete im Rahmen des "eingeschränkten" U-Boot-Krieges auf manche Zerstörung. Solche Rücksichtnahmen erlebte man Jahre später nur noch selten.

nico/ole

Peter Schwarz (68), St. Katharinen: Bis zu zehn Stunden stand er damals als Gefechtsrudergänger auf seinem Posten und durfte dann natĂĽrlich keinen Moment unaufmerksam sein. Zum seemännischen Personal gehörig, fiel auch die Materialausgabe in sein Aufgabengebiet. Noch heute erinnert sich Schwarz an die Angst, die sie in 176 Meter Tiefe hatten, dann wenn Zerstörer in der Nähe waren. "Das U-Boot war nur auf 100 Meter geeicht, so dass es ganz schön geknackt hat da unten", weiĂŸ er zu berichten. Nach den Gefangenschaftsjahren in Kanada und England machte er in der Heimat seinen Meister als Polsterer und Dekorateur, wechselte dann aber zum Verwaltungsdienst.
Heinz Pfeifer (73), Eschwege: Im Jahre 1928 rückte der gelernte Schlosser zur Kriegsmarine ein. Dort wurde er Obermaschinist und meldete sich freiwillig zu den U-Booten. Er geriet in englische Gefangenschaft und unternahm — als Friseur verkleidet — einen abenteuerlichen Ausbruchsversuch, um dem in Kanada gelegenen Lager zu entkommen. Doch nach aufregender Flucht wurde er doch noch "geschnappt". Nach seiner Rückkehr in das zerstörte Deutschland entschloss er sich 1951 dazu, in die Handelsmarine einzutreten. Zwanzig Jahre befuhr der Seebär dann mit friedlicherem Auftrag die Meere. Sein Hobby ist das Malen, naheliegender Weise pinselt er Seestücke besonders gekonnt.
Werner Lott (74). Vallendar: Als Kommandant war er erster Mann an Bord und trug für Boot und Mannschaft die Verantwortung. "Für mich war es eine schöne Aufgabe, Männer zu führen, die freiwillig einen schweren Auftrag übernommen hatten”, sagt Werner Lott heute dazu. In Afrika aufgewachsen, hatte er kosmopolitischen Appetit — wie er es nennt —, wollte bei der Marine etwas von der Welt sehen. Er ging mit 19 Jahren in Kiel an Bord des Schulschiffs Niobe. Zehn Jahre später wurde er Kommandant des U-Boots, dessen Mannschaft sich heute noch trifft. Die Zeit an Bord, in der manche schwere Situation nur gemeinsam bewältigt werden konnte, verbindet sie heute noch.
Erich May (69), Neuss: Schon als Junge hatte er durch die Marinejugend Kontakt mit der Seefahrt bekommen. Um der Arbeitslosigkeit zu entgehen, trat er daher 1934 mit dam Ziel in die Reichswehr ein, zur See zu fahren. "Funker waren die Intelligenz der Flotte und immer gut informiert; auĂŸerdem war die Arbeit sauber", begrĂĽndet der agile Mann seine damalige Entscheidung, den Umgang mit Morsetaste und Funkgerät zu erlernen. Nach einem kurzen Intermezzo bei der Luftwaffe meldete er sich freiwillig zu den U-Booten, um endgĂĽltig bei der Marine zu bleiben. Heute beschäftigt sich Erich May in erster Linie mit Pflanzen: Bei ihm findet der Besucher Blumen auf der Fensterbank, Rosen im Garten.
Walter Konradt (64), Vancouver-Island (Kanada): "Well, auf den U-Booten gab es die beste Bezahlung, das beste Essen und die beste Kameradschaft", begrĂĽndet er seinen 1938 gefassten Entschluss, sich fĂĽr die U-Boot-Waffe zu bewerben. Kanada, wo der Seemann in Gefangenschaft war, hat auf ihn wohl einen guten Eindruck gemacht, denn nachdem er in Deutschland einige Jahre als Harmonikaspieler durch die Lande gezogen war, wandere er dorthin aus. AuĂŸerdem, so sagt Walter Konradt, habe er in Europa einen neuen Krieg befĂĽrchtet, da sich dort Russen und Amerikaner gegenĂĽberstanden. An Kanada gefällt dem Pensionär besonders die GrĂ¶ĂŸe des Landes.